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Prächtige Sommerwanderung im Maderanertal

Nachdem ich seit letztem Dezember nicht mehr in der Deutschschweiz gewesen war, ausser für eine Beerdigung im Februar 2020, konnte ich letzte Woche von Frankreich her endlich wieder einmal in meine Deutschschweizer Heimat reisen. Neben dem Besuch von Verwandten war auch eine Wanderung mit meiner besten Schulfreundin vorgesehen, die ich seit fast vierzig Jahren kenne. In den vier Jahrzehnten ist sie allerdings zur Multitalent-Sportskanone mit Nepaltrekking und Cuba-Indien-Velotour-Erfahrung geworden, während ich mich wenigstens mit Velofahren im Umkreis von zehn Kilometern, Gymnastik vor dem Computer und grenzüberschreitendem (F-CH-F) Marschieren einigermassen fit zu halten versuche.

Meine Freundin schlug mir eine gemütliche Wanderung im Maderantertal vor, wo ich im Leben noch nie war. Um 4Uhr40 war ich schon wach, obwohl es für mich im Würzenbachquartier gereicht hätte, um 5Uhr20 aufzustehen, um in Luzern beim Verkehrshaus um 6Uhr45 vollmaskiert in den Zug zu steigen. Eiskalt geduscht war ich dann aber fit und hellwach für unser «Abenteuer».

Meine Freundin stieg in Küssnacht zu, von wo wir bis Arth Goldau fuhren, dann in Flüelen mit dem Bus nach Amsteg gelangten und von dort nach waghalisger Fahrt um zehn vor neun mit dem Postauto Bristen Dorf erreichten, den Ausgangspunkt unserer vorgesehenen Wanderung. Zu meiner Enttäuschung hornte das Postauto nicht wie sonst auf engen Bergstrassen, wenn es um eine Kurve fuhr und wie ich das aus meiner Kindheit noch kenne.

Die meisten Leute aus dem bis zum letzten Platz vollbesetzten Bus, den ich mir sonst eigentlich lieber nicht ausgewählt hätte in Corona-Zeiten, (aber dank dem Maskenobligatorium blies immerhin niemand seine potentiellen Viren in den Nacken der andern), strömten zur Seilbahnstation, um zum Golzernsee hochzufahren.

Wir aber wollten dem wild rauschenden, schäumenden Kästelenbach entlang bis zum Hotel Maderanertal wanderrn. Endlich demaskiert im wörtlichen Sinne, mit freier Nase die würzige Alpenluft schnuppernd und fröhlich plappernd, ging es gemütlich los über eine Asphaltstrasse, die später zum angenehm schattigen Kiesweg wurde. Das laute Rauschen des wunderschönen «Bachs» begleitete uns die ganz Zeit lang. Plaudern war trotzdem möglich und wir verstanden uns meistens trotz Sicherheitsabstand.

Hie und da überquerten wir das wilde, milchige Wasser über kleine Brücken, was mir immer ganz besonders gut gefiel. Bestimmt war es viel kälter als meine morgendliche Dusche! Auch für gegenseitige Fotoshootings eignete sich diese Postkartenszenerie. Nur selten begegneten wir anderen Wanderern oder auch mal Mountain-Bike-Fahrern mit und ohne Elektroantrieb.

Nach einer halben Stunde kamen wir zum reizenden kleinen Gasthaus Legni , wo wir einen wirklich köstlichen, sehr erfrischenden Hausdrink aus Eisenkraut (auf der handgeschriebenen Tafel mit Vervain angegeben, was man aber Verveine schreiben würde auf Französisch, wie ich meiner Freundin auf deren Frage hin bestätigte) mit Eiswürfeln, Zitronenscheiben und Melisse und die Liebenswürdigkeit der Bedienung genossen. Auch auf die Toilette gingen wir kurz, für uns Frauen ist das ja meistens ein Muss, Männer können schneller mal hinter einen Baum, und sogar diese war charmant, hatte sie doch ein kleines Fensterchen mit Aussicht ins darunterliegende Tobel und da und dort Dekoration in Herzchenform. Manche würden es vielleicht ein bisschen kitschig finden, aber für mich war es im wahrsten Sinne des Wortes herzig. Poetisch-weise wurde es gar beim uralten, mit eisernen Nägeln beschlagenen Wanderschuh, der als Vase in einer Fensternische stand, mit roten Blumen und einem Zitat von Goethe versehen: «Nur wo du zu Fuss warst, bist du auch wirklich gewesen.» Man spürte rundherum eine liebevolle Atmosphäre, auch die apart in die Felsnischen gestellten, und von zarten Blümchen umrahmten grünen Bänke mit Sonnenschirmen luden einen zum Verweilen ein.

Um diese Zeit am Morgen waren auch nur ganz wenige Gäste da. Die reizend lächelnde, ansteckend gutgelaunte Hotelinhaberin erklärte meiner Freundin zudem, dass es auch in der Nähe des Hotel Maderanertal noch einen kleinen See habe, falls wir nicht an den für mich steilen Felswänden in den eingelassenen Stufen hochwandern wollten, um von dieser Seite her doch noch zum Golzernsee hinaufzusteigen. Tatsächlich wünschte ich mir seit langem, einen Bergsee zu sehen, sei er auch noch so klein.

Als dann links die Abbiegung Richtung Golzernsee kam, war es mir doch lieber, aus unserer gemütlichen Wanderung keine Stresstour zu machen und wir wanderten weiter geradeaus. Auf dem Weg kamen wir auch noch an einer Alpkäserei mit Ausschank vorbei, welche wir uns für den Rückweg merkten. Gerne wollte ich später ein rechtes Stück Käse aus der Region nachhause bringen.

Nicht weit vom Hotel Maderanertal zweigten wir vor einer Steigung links vom Kiesweg ab und stiegen in der Nähe eines Erlebnispfads auf einen anderen kleinen Weg durch hohes Farn. Der schmale Weg durch den Wald mit dem weich federndem Boden voller Tannennadeln führte uns schliesslich weiter oben auf den Kiesweg zurück und zu einer Bank mit Blick auf die Berge und einen kleinen Wasserfall, wo wir knapp vor Mittag wohl eine halbe Stunde rasteten und unser Picknick aus dem Rucksack assen. Dann zweigten wir wieder links vom Kiesweg ab und gelangten an den romantischen kleinen Butzlisee mitten in einem verwunschenen Wald voller hellgrünem Farn und riesigen, mit grünem Moos bewachsenen Steinen. Nur ein knorriger Berggeist mit hocherhobenem Zeigefinger hockte mitten im Farn und beobachtete uns. Der See selber war nicht tief. Eine alte umgefallene Tanne bildete eine Brücke über das Wasser, die wir aber nicht auf ihre Standfestigkeit testen wollten. Meine Freundin entdeckte eine einsame Kaulquappe, die durch das türkisgrüne Wasser schwamm und mich an ein schwarzes Spermium erinnerte. Auch an die Grausamkeit unserer Kindheit musste ich denken, weil wir manchmal in Ferienlagern eine Kaulquappe töteten und sie in die wimmelnde Menge ihrer Artgenossen warfen, die sich darauf stürzten wie ein Schwarm Piranhas.

Mich persönlich beamten diese moosbewachsenen, beeindruckenden Felsbrocken natürlich sofort auf den Brünig, wo wir früher eine Alp besassen, die deshalb in meinem Roman «Steine auf dem Weg zum Pass» und in den zwei Fortsetzungen meiner interkulturellen Trilogie eine wichtige Rolle spielt.

Zu meiner grossen Verblüffung gab es während der ganzen Wanderung Selbstbedienungsstände mit Kristallen in diversen Grössen und zu diversen Preisen zu kaufen. Die kleine metallene Kasse zum Bezahlen stand jeweils daneben, aber Verkäufer waren nicht zu sehen. Nur bei einem einzigen Stand war ein Aufkleber mit einer Videokamera angebracht, aber ich glaube, das war eine Attrappe. Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, dass da auf einer Tannenspitze wirklich eine Kamera trohnte und uns filmte.

Wie schön, dass man in dieser Gegend darauf vertraut, dass die vorbeikommenden Wanderer ehrliche Leute sind. In Frankreich, wo ich seit 20 Jahren mit meiner Familie lebe, habe ich dergleichen noch nie gesehen. An anderen Ständen standen auch von Hand aus Haselnussruten geschnitzte Wanderstöcke, Schlüsselanhänger, selbstgemachte Kräuterseifen, Gläser mit hausgemachter Heidelbeerkonfitüre und Tannenlatwerge.

Dass die Gegend aufgrund der vielen angebotenen Bergkristalle ein Paradies der Strahler war, realisierte ich erst jetzt. Überhaupt hatte ich die Bezeichnung «Strahler» im Gegensatz zu meiner Freundin erst vor wenigen Jahren zum ersten Mal gehört, weil meine verwitwete Mutter sich in einen verwitweten ehemaligen, immer noch sehr gelenkigen Strahler verliebt hat, vorher wusste ich nicht einmal, dass es einen speziellen Namen für leidenschaftliche Kristallsammler gab, die in die unmöglichsten Löcher krochen und auf die halsbrecherischsten Gipfel kletterten, um die wertvollen Kristalle zu suchen und dem Berg abzutrotzen.

Als wir den Butzlisee verliessen, gelangten wir über den Erlebnispfad zum Hotel Maderanertal mit toller Aussichtsterrasse, von wo wir dann, die schön aufgeschichteten Holzbeigen am Wegesrand bewundernd, den Rückweg antraten, der nun fast immer gemütlich bergab ging. Hie und da mussten wir etwas konzentrierter schauen, wo wir unsere Füsse hinsetzten, da es nicht immer Kiesweg war, sondern auch ein Gang über Stock und Stein. Gerade jetzt, wo ich diese Redewendung schreibe, realisiere ich übrigens, dass mit Stock interessanterweise wohl Wurzelstock gemeint ist! Tatsächlich hatte es deren viele!

Beim Rückweg kamen wir nach einer Weile wieder an der Alpkäserei mit Ausschank vorbei, wo wir uns nun ein rechtes Stück Käse als Proviant und Souvenir kauften und uns eine lokale Erfrischung gönnten. Meine Freundin offerierte mir in Erinnerung an meine in ihren Augen seltsame Gewohnheit, in den 80er Jahren zum Essen in der Schulkantine am Alpenquai ständig Milch zu trinken, ein grosses Glas frische Milch, die ich köstlich fand, während sie einen leckeren Molkendrink mit Mango vorzog. Dieses exotische Früchtchen war höchstwahrscheinlich nicht auf dem Mist dieser Alp gewachsen. Da wir in Coronazeiten waren, boten wir unsere Getränke nicht gegenseitig zum Kosten an.

Wieder gestärkt wanderten wir weiter auf demselben Weg, auf dem wir gekommen waren. Schliesslich wollten wir unbedingt noch einmal im Gasthaus Legni einkehren, meine Freundin hatte dort auf der Werbetafel ein leckeres Dessert mit Heidelbeeren gesichtet und schwärmte bereits seit Stunden davon. Überhaupt gab es massenhaft Heidelbeersträucher, manchmal auch mit vielen Beeren, aber wir hatten leider keine Zeit zum Ablesen, weil wir ja dann auch wieder pünktlich ins Postauto steigen wollten. Zudem war es mir etwas unheimlich, Heidelbeeren direkt, das heisst vor allem ungewaschen vom niedrigen Busch zu geniessen, denn der Fuchsbandwurm und die damit verbundene schlimme Krankheit sind leider keine Mär.

Im Gasthaus Legni wurden wir dann natürlich nicht enttäuscht. Die hausgemachte, wiederum ganz liebevoll mit blauen Borretschblümchen, winzigen gelben Stiefmütterchen und Zitronenmelisse dekorierte Heidelbeerglace mit Rahm und Waffel schmeckte ausgezeichnet. Kein Wunder, hatte doch der Schwager der Wirtin, wie sie uns erklärte, gerade wieder zwei Kessel voller frischer Heidelbeeren ins Gasthaus gebracht. Aus solchen war auch unsere Glace kreiert worden.

Bevor wir zum Postauto hinunterwanderten, deckten wir uns im ebenfalls romantischen Stil gehaltenen Innern des Gasthauses noch mit hausgemachter Heidelbeerkonfiture und einem speziellen Birnensenf ein, aparte Mitbringsel für unsere Lieben.

Neben dem Gasthaus gab es übrigens eine etwa anderhalb Meter breite, schmale blaue Anlage mit schwarzen Deckeln und bunten Sponsorennamen drauf. Ich konnte mir gar nicht erklären, was das sein sollte, aber meine Freundin erkannte auf einen Blick, dass es eine Ladestation für die Batterien der Elektrovelos war.

Die letzte, auf den Schildern angegebene halbe Stunde Wanderzeit bis nach Bristen Dorf hinunter legten wir schnellen Schrittes in zwanzig Minuten zurück, weil wir das Postauto um vier nicht verpassen wollten, aber auch, weil der Weg nun weniger schattig als am Morgen und nun recht heiss war. Zudem ist es seit vierzig Jahren Tradition, dass ich, wenn ich mit meiner Freundin unterwegs bin, immer mal wieder auf einen Bus rennen muss.

Vollmaskiert setzten wir uns ins Postauto und damit auch noch die Fahrt (abgesehen vom Maskentragen) wie aus dem Bilderbuch wurde, hornte es nun endlich zu meiner Freude lautstark sein «Tüüüü-Taaaa-Tooo», wenn es beim Hinunterfahren vor einer Kurve war, um heraufkommende Autofahrer zu warnen.

Die liebenswerte Einladung zum Essen bei meiner Freundin und ihrem Mann in Küssnacht lehnte ich dankend ab, weil ich nun wirklich geschafft war (und weil es zu ihnen vom Bahnhof her zu Fuss fast senkrecht hinauf geht). Als ich gegen halb sieben beim Verkehrshaus Luzern wieder ausstieg, schienen mir die letzten fünfzehn Minuten zu Fuss bis zur Wohnung meiner Mutter im Würzenbach wie ein nie endender Gang durch die Wüste, weil ich nach diesem langen aber unvergesslich schönen Tag sosehr nach der eiskalten Dusche lechzte, die dann zum Glück keine Fata Morgana war!

Copyright Text und Fotos Anja Siouda 29. Juli 2020

Aktueller Artikel über das Gasthaus Legni in der Luzernerzeitung

Link zum Gasthaus Legni

Zum Roman Steine auf dem Weg zum Pass

In meiner Erzählsammlung Tuttifrutti – Humoristische Erzählungen für jeden Geschmack gibt es auch einen Text über diese langjährige Freundschaft und ein paar andere Reiseabenteuer mit meiner Freundin.

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