Die originelle Idee fand Frau Aslan im Internet, genauer gesagt in einer Facebook-Gruppe. Jemand, der sich offiziell als Mann ausgab, hatte das Foto gepostet und sie schnappte sich das Bild inklusive Erklärungen sofort und speicherte es auf ihrem Desktop im Ordner «Erotisches». Ihr Mann sollte es nämlich nicht sehen. Noch nicht. An ihren Computer ging er zwar sowieso nie, schliesslich hatten sie beide je einen eigenen. Es kam ihm auch nie in den Sinn, in ihren Dateien herumzuschnüffeln, das wusste sie. In ihrer Ehe herrschte Vertrauen. Trotzdem aber versorgte sie das Foto in einem Ordner, damit es nicht einfach auf dem Desktop herumlag, falls ihr Mann ihr gerade einmal den Nacken küssen käme, wenn sie vor dem Bildschirm sass. Schliesslich wollte sie ihn damit überraschen. Sie wollte bis zum Wochenanfang warten, bis er bei der Arbeit wäre, dann würde sie den Ordner erst wieder aufmachen, sich das Foto ganz im Detail anschauen, sich die verschiedenen Etappen schon mal plastisch vorstellen und alles Nötige besorgen.
Es war eindeutig für Männer gedacht: Sie fanden es bestimmt sehr knusprig, was da auf dem Foto zu sehen war, und genau das wollte sie ihrem Gatten bieten. Vielleicht brauchte sie etwas Übung darin, sie würde es also schon einmal alleine ausprobieren und falls nötig noch ein Feedback bei einer Freundin einholen, bevor sie ihn damit überraschen würde. Eigentlich hatte sie ja abgesehen von drei Dingen alles zuhause, was es dafür brauchte. Eines davon war der Honig. Dieser war sogar ein Aphrodisiakum, ohne Zweifel. Denn warum würden die Flitterwochen auf Englisch sonst honeymoon und auf Französisch lune de miel heissen? Gleich zum Wochenbeginn besorgte sie also den Honig, eine extra teure Schweizer Biomarke. Das Hirschhornsalz fehlte ihr auch. Dessen Beschaffung war schon etwas komplizierter, denn nicht jede Apotheke führte es oder besorgte es ihr auf Bestellung. In Frankreich fand sie es schon gar nicht. Sie musste extra über die Grenze dafür und wurde bei ihrer Rückkehr zu ihrer Erleichterung nicht einmal von einem Zollhund beschnüffelt. Das eigentliche, traditionell aus den Geweihen der Hirsche hergestellte Hirschhornsalz gab es sowieso nicht mehr, heutzutage benutzte man einfach Ammoniumcarbonat, aber natürlich hatte das weisse Pulver, das einem den Atem verschlug, den genau gleichen Effekt: Es sorgte für Volumen. Ob es wohl in Afrika und Asien auch Nashornsalz gab, fragte sie sich plötzlich, und ob eigentlich ein Zusammenhang bestand zwischen der Bezeichnung «Gehörnter» und den Aphrodisiaken aus Tierhörnern? Wahrscheinlich eher nicht.
Überhaupt kam ihr bei der spöttischen Bezeichnung «Gehörnter» eigentlich immer nur Moses mit seinen Gesetzestafeln in den Sinn, dem Michelangelo zwei mysteriöse Hörner aufgesetzt hatte. Sie hatte sie vor Jahrzehnten in der Kirche San Pietro in Vincoli in Rom auf einer Studienreise in natura gesehen. Mit Untreue hatten diese zwar auch zu tun, aber in einem völlig unerotischen Sinne: Sie waren auf eine ungetreue Übersetzung einer Bibelstelle vom Hebräischen ins Lateinische zurückzuführen. Aus Strahlen wurden an dieser Textstelle Hörner und Michelangelo hatte die Vulgata natürlich wörtlich genommen. Frau Aslan musste über sich selber lachen, als sie merkte, wohin ihre Gedanken sie wieder einmal geführt hatten. Ihre Assoziationen waren oftmals genauso unberechenbar wie ein Facebook-Thread, das wusste sie inzwischen aus Erfahrung. Wenn sie dort auf ihrem Profil nämlich ein Stichwort, eine Bemerkung oder eine Alltagserkenntnis postete, kam sie sich manchmal vor wie Goethes Zauberlehrling! Die Kommentarwelle ihrer Abonnenten war dann nicht mehr aufzuhalten. Sie rollte über ihr Profil hinweg wie ein Tsunami und schweifte in die unglaublichsten Themen ab. Manchmal blieb ihr nichts anderes mehr übrig, als ihr ganzes Statement inklusive ellenlangem Kommentarschwanz zu löschen, um die phantastische Flut der anderen einzudämmen. Ihre eigene Phantasie aber konnte sie natürlich nicht einfach per Mausklick abschalten. So beschloss sie, sich mit Konkreterem abzulenken, statt über die Etymologie von Gehörnten nachzudenken, und suchte im Internet nach einem inspirierenden virtuellen Reizwäschekatalog und nach dem Gummi arabicum, das ihr auch noch fehlte. Von diesem getrockneten Akaziensaft bestellte sie gleich einen grösseren Vorrat, mehrere weisse, extrem solide Plastikbehälter mit einem massiven blauen Deckel, per Expresslieferung. Das Gummiarabicum war nämlich unerlässlich für den perfekten Glanz und für das leicht klebrige Feeling auf den Zähnen und im Mund. Zwei Tage vor dem Wochenende hatte Frau Aslan alles beisammen, denn Mehl, Butter, Eier, Zucker, eine spezielle Gewürzmischung und etwas Lebensmittelfarbstoff hatte sie immer im Haus, und so begann sie beherzt mit dem Zubereiten der Masse. Eine Nacht lang musste diese im Kühlschrank ruhen, aber am folgenden Tag wallte Frau Aslan den Teig voller Elan fünf Millimeter dick aus und stach lauter Herzen aus, deren nach oben gekehrte Spitze sie fein säuberlich abschnitt. Die beiden höchst interessanten übrigbleibenden Rundungen waren zu ihrer Freude perfekt und hielten sich auch beim Backen. Noch heiss überpinselte Frau Aslan dann die etwa hundert nackten, braungebrannten Lebkuchenpopos mit im heissen Wasserbad aufgelöstem Gummi arabicum und kleidete sie, kaum waren sie ausgekühlt, mit den heissesten Tangas aus farbigem Zuckerguss.
Copyright Anja Siouda
Dies ist eine von 53 Erzählungen aus dem Buch Tuttifrutti – Humoristische Erzählungen für jeden Geschmack von Anja Siouda. Der Erzählband erschien erstmals 2016 beim Verlag Pro Libro in Luzern, 2019 dann in einer Neuauflage als Buch und Ebook bei BoD. Die 53 Erzählungen sind unterteilt in zwölf Passionsfrüchte, zehn Zankäpfel, dreizehn Maulbeeren, neun Knacknüsse und neun Kichererbsen.
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