Das waren meine Gedanken während meiner Lektüre von Christa Prameshubers Biographie ihrer Grosstante Antonia Bukowsky, der die Autorin in «Das mit der Liebe ist alles ein Schwindel» im zweiten Teil ihrer Trilogie ein wunderbares, sehr persönliches und sehr unterhaltsam geschriebenes Denkmal setzt. Und nachdem ich diesen zweiten Teil mit Vergnügen gelesen hatte, war ich auch gerade sehr neugierig auf den ersten Teil «Die Meisterin» geworden! Christa Prameshuber hat nämlich ihren originellen drei Grosstanten je ein Buch gewidmet, wobei der dritte Teil noch im Entstehen ist, aber 2022 erscheinen wird.
Die in Linz geborene Autorin, die in Innsbruck Geografie studierte und später zwanzig Jahre in internationalen Firmen und Organisationen in Genf und Paris arbeitete, wurde wegen der Berufstätigkeit und wegen des frühen Todes ihrer Mutter von ihren Grosseltern und ihren aussergewöhnlichen Grosstanten aufgezogen und in ihrer Trilogie erzählt sie deshalb auch von ihren persönlichen Kindheitserinnerungen mit jeder einzelnen ihrer vom Charakter her sehr unterschiedlichen Tanten. Umfangreiche Recherchen zur eigenen Familiengeschichte, inklusive Erinnerungen und Anekdoten ihrer zwei grösseren Schwestern sowie anschauliche Einblicke in die Geschichte und den Alltag Österreichs vor, während und nach den zwei Weltkriegen machen diese Biographien zu einer interessanten, leicht lesbaren Lektüre. Auch der angenehme Schreibstil trägt zum Lesevergnügen bei und wer mag, kann sich auf der Webseite der Autorin eine Videoaufnahme einer gediegen mit Musik untermalten Lesung anschauen. Da ich selber ein Faible für das Österreichische habe, höre ich der Autorin, die ausgezeichnet liest, besonders gerne zu.
Die Grosstante Antonia Bukowsky wurde 1901 in Weyer geboren, hatte aufgrund der problematischen Ehe ihrer Eltern und deren Trennung eine schwere Kindheit und musste sich mitten im ersten Weltkrieg schon früh selber durchschlagen. Mit 16 begann sie, obwohl sie wissbegierig war und sich gerne in einer höheren Mädchenschule weitergebildet hätte, in einer Spedition zu arbeiten, wo sie bis zu ihrer Pensionierung mehr als vierzig Jahre später blieb. Ihr Bruder Karl, der Grossvater mütterlicherseits der Autorin Christa Prameshuber, der mit 15 Jahren freiwillig in den idealisierten Kriegsdienst zog, kam mit einem amputierten Bein ernüchtert zurück. Später starb sein eigener Sohn Heinz als Soldat kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs im Alter von 18 Jahren, während seine Tochter, die Mutter der Autorin, bereits Anfang vierzig starb. Eine dramatische Familiengeschichte, die Antonia Bukowsky aber nicht verzweifeln oder verbittern liess. Sie war eine tapfere und selbstbewusste Frau, die die Einführung des Frauenstimmrechts 1918 in Österreich mit Stolz und Genugtuung erlebte und die während des zweiten Weltkriegs sogar der Gestapo die Stirn bot!
In der Liebe war sie allerdings unerfahren und so fiel sie in jungen Jahren dem um viele Jahre älteren Schlendrian Frank Plank zum Opfer, mit dem sie eine jahrelange Korrespondenz aufrechterhielt, während Frank sie immer wieder um Geld anbettelte, bis er schliesslich nach Ohio auswanderte und dort eine andere heiratete. Kein Wunder hielt Antonia Bukowsky diese Liebesbriefe und diese enttäuschende Episode ihres Lebens unter Verschluss. Die Familie fand die Briefe erst nach ihrem Tod. Ob sie mit der Publikation der Briefe einverstanden gewesen wäre, bleibt natürlich dahingestellt. Tatsächlich erscheint mir persönlich gerade dieses Kapitel vom Reinfall einer in der Liebe unerfahrenen jungen Frau nicht als das interessanteste in der ganzen Biographie, obwohl es dem Buch den Titel gibt, aber es zeigt natürlich, dass auch die genialste und aufgeschlossenste Tante eine verletzliche und sorgsam verborgene Seite hatte. Und es erklärt wahrscheinlich, warum sie so lange ledig blieb und erst mit fast 50 Jahren einen langjährigen Kollegen in der Spedition heiratete. Für die Gründung einer Familie war es viel zu spät und nachdem Antonia Bukowsky, genau einen Tag nach ihrer Pensionierung 1963 Witwe wurde, zog sie ins grosse Wohnhaus ihres Bruders und kümmerte sich von da an um Christa und ihre zwei grösseren Schwestern.
Die mannigfaltigen Anekdoten, die die Autorin aus ihrer Kindheit preisgibt, sind wirklich sehr unterhaltsam und machen die Biographie ihrer Tante somit auch ein bisschen zu ihrer eigenen Autobiographie. Als Autorin lässt man ja nicht selten auch einen grösseren oder kleineren Teil vom eigenen Leben in ein (fiktives) Werk miteinfliessen, das ist auch hier geschehen.
Da ich fast der gleichen Generation angehöre wie Christa Prameshuber, kann ich nur staunen über die weltoffene Art, wie sie grossgezogen wurde. Wie aufgeschlossen, modern und pragmatisch Tante Toni war und wie gut sie mit Kindern umgehen und ihnen im Alltag Wesentliches fürs Leben beibringen konnte!
Ein besonders Kapitel ist jenes mit dem Titel «Spelunke zur alten Unke», da in diesem ein sehr originelles Weihnachtsgeschenk der Tante beschrieben wird, das von ihrem grossen Verständnis für die drei heranwachsenden Mädchen zeugt.
Auch die beschriebenen Ausflüge in die Region oder auch die besonderen Busreisen in die Schweiz und nach Paris (inklusive Abstecher zu den «Folies Bergère»), die die Autorin nachhaltig prägten, veranschaulichen die Weltoffenheit von Tante Toni.
Antonia Bukowsky starb nach einem langen Leben im Alter von 89 Jahren. Da sie ihren Körper der Anatomie in Wien vermacht hatte, gab es zwar eine Ehrengrabstätte der Anatomie aber eine Bestattung ohne das Beisein der Angehörigen. Dass die Autorin Christa Prameshuber zu Ehren ihrer Grosstante nicht nur ihre Biographie aufgeschrieben, sondern auch eine Parkbank inklusive Gedenktafel über dem Lac Léman bei Montreux spendete, ist eine berührende Geste, womit sie ihr zudem zu einer wunderschönen offiziellen Spur auf dieser Welt verhalf.
Welche Grosstante würde sich eine solche Ehrung von ihrer Grossnichte erträumen?
Das mit der Liebe ist alles ein Schwindel
Das bewegte Leben der Antonia Bukowsky – Würdigung einer mutigen Frau
Christa Prameshuber, Trauner Verlag, 2020, ISBN-13: 978-3990622049