Er hat ein nettes Lächeln, denkt sie, geradezu einladend. Selbstvertrauen strahlt er auch aus. Klar, ein Mann in diesem Alter hat gewiss jede Menge Erfahrung. Übrigens ist sie ja genau deshalb zu ihm gekommen, weil eine ihrer Freundinnen ihn ihr empfohlen hatte. Sie hatte lange darüber nachgedacht und sich schliesslich dazu aufgerafft, ihn anzurufen, und nun ist sie hier mit ihm und teilt diese erzwungene, künstliche Intimität mit jemandem, der ihr gefällt, aber den sie nicht kennt.
«Alles in Ordnung?», fragt er sie und blickt ihr in die Augen.
Sie fühlt sich eingeschüchtert, schaut auf ihre Hände hinunter, die nervös am Saum ihres T-Shirts kneten, und antwortet mit unsicherer Stimme.
«Ja, ja, alles bestens. Danke.»
Er ist ein einfühlender Typ, tätschelt ihre eiskalte Hand und stellt fest:
«Es ist also das erste Mal, nicht?»
«Ja, leider», sie schafft es gerade noch zu einer Antwort, obwohl sie beinahe von Gefühlen überwältigt wird, die sie vergeblich zu unterdrücken sucht.
«Sie brauchen keine Angst zu haben. Es gibt viele andere Frauen in Ihrem Alter, die auch ganz verzweifelt waren, die aber am Ende doch noch Spass daran bekamen. Atmen Sie einmal gut durch und entspannen Sie sich, bevor wir anfangen.»
Sie gehorcht seiner Stimme, die jetzt so beruhigend und sympathisch wirkt wie sein Lächeln, und schafft es, sich allmählich zu beruhigen.
«Darf ich Sie fragen, warum Sie es vorher noch nie ausprobiert haben?»
«Es gab keine Gelegenheit.»
«Wirklich? Nicht einmal mit einem Freund oder so?»
«Nein», antwortet sie einfach und ist sich gar nicht bewusst, wie neugierig er ist, denn durch das Plaudern mit ihm fühlt sie sich besser.
«Sind Sie verheiratet?»
«Ja.»
«Haben Sie es denn nicht einmal mit Ihrem Mann versucht?»
«Nein, das heisst, ja, doch, aber es war ein Albtraum. Ich möchte mich lieber nicht daran erinnern.»
«Hm, ja dann ist es nicht wirklich das erste Mal und Sie haben schon eine gewisse Erfahrung, nicht?» Er lächelt sie ermutigend an.
«Vielleicht, aber mit meinem Mann war es wirklich hart. Ich habe ihn dabei kaum wiedererkannt. Er wurde so ungeduldig, so unfreundlich … sogar aggressiv. Eigentlich gingen wir gar nicht weit, denn er sagte mir, ich mache ihn wahnsinnig, und wir hatten einen Riesenkrach. Da brach ich in Tränen aus, weil er eben die Erfahrung hatte, die mir fehlte, aber es war wirklich sinnlos. Seither wollte ich gar nicht mehr.»
«War er denn nicht auch enttäuscht?»
«Kann sein, aber für ihn ist das nicht wirklich ein Problem. Er hat ja diese Freiheit, kann es jederzeit und überall. So ist es bei mir nicht.»
«Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden sich genauso frei fühlen wie er, aber Sie müssen hart dranbleiben.»
«Ich werde es versuchen, mit Ihnen.»
«Also machen Sie es sich bequem und fangen Sie an. Kümmern Sie sich noch nicht um das, was unten ist. Legen Sie nur Ihre rechte Hand hierher», er führt ihre kalte Hand zum harten Knüppel zwischen ihnen. Sie geht langsam auf und ab, geführt von seiner eigenen, warmen Hand, während seine Füsse sich flink um den Rest kümmern.
«Machen Sie nur etwas schneller und herzhafter. Er wird schon nicht abbrechen», sagt er scherzend, und sie fühlt sich allmählich leichter und ertappt sich bei dem Gedanken, dass ihre erste richtige Fahrstunde eigentlich eine total aufregende Sache ist.
Copyright Anja Siouda
Dies ist eine von 53 Erzählungen aus dem Buch Tuttifrutti – Humoristische Erzählungen für jeden Geschmack von Anja Siouda. Der Erzählband erschien erstmals 2016 beim Verlag Pro Libro in Luzern, 2019 dann in einer Neuauflage als Buch und Ebook bei BoD. Die 53 Erzählungen sind unterteilt in zwölf Passionsfrüchte, zehn Zankäpfel, dreizehn Maulbeeren, neun Knacknüsse und neun Kichererbsen.