Hier folgt ein Ausschnitt aus meinem Roman «Ein arabischer Sommer», der auch kurz in Algerien spielt. Was das Schweizer Ehepaar an dieser Stelle erlebt, geht auf eine schöne Erfahrung zurück, die ich in den 80er Jahren selber gemacht habe. Diese algerische Freundlichkeit und Gastfreundschaft habe ich nie vergessen.
Claude hatte eingelenkt, obwohl er nicht grade zu den Abenteurern gehörte und lieber in einem Erste-Klasse-Hotel an irgendeinem Strand unbeschwerte Flitterwochen verbracht hätte, aber er dachte, etwas Ablenkung würde Elena, die auch nach der Hochzeit eher deprimiert denn glücklich wirkte, guttun. So hatten sie sich einen Flug nach Algier und ein Hotel gebucht, hatten sich mit Reiseführern ausgestattet und waren ein paar Wochen nach der Hochzeit – sie hatten zuerst das Ende des diesjährigen Fastenmonats Ramadan abgewartet, weil das Reisen für Touristen dann angenehmer war – in der Hauptstadt am Mittelmeer eingetroffen. Von dort erkundeten sie das Land ganz auf eigene Faust, waren aber immer mit den günstigen Gemeinschaftstaxis unterwegs. In Algier imponierten ihnen die Basilique Notre Dame d’Afrique, die engen Gassen der Kasbah, das berühmt berüchtigte Bab-el-Oued-Quartier, die weiss leuchtende Djamaa al djadid, das Bardo-Nationalmuseum, die sonderbare Cathédrale du Sacré Coeur, die in der Tat ausschaute wie der Kühlturm eines Atomkraftwerks, da waren sie sich beide absolut einig, und das riesige Mémorial du Martyr, zu dessen Füssen sich ein imposantes und für nordafrikanische Verhältnisse erstaunlich luxuriöses, gigantisches Einkaufszentrum befand. Nicht weit von dort entfernt gab es auch den Jardin d’Essai, diesen eindrucksvollen botanischen Garten, der Anfang des 20. Jahrhunderts noch in der Kolonialzeit angelegt und mit allerhand exotischen Pflanzen ausgestattet worden war. Claude fand ihn umwerfend, aber zu seinem Erstaunen teilte Elena, die sonst naturverbundener war als er, seine Begeisterung überhaupt nicht. Sie erklärte ihm, sie habe Mühe mit so künstlich angelegten Naturanlagen, und wollte sich keinesfalls auf eine der Ruhebänke setzen. Dass dieser Park mit seinen Palmen und der salzigen Mittelmeerluft sie schmerzhaft an den grossen Parc du Belvédère in Tunis erinnerte, versuchte sie vergeblich zu verdrängen.
Nach dem Besuch der Stadt Algier fuhren sie anschliessend die Ostküste entlang, besuchten Tizi Ouzou, badeten in Bejaïa, wo es überhaupt keine touristische Infrastruktur gab, im Meer, fuhren weiter nach Ziama Mansouria, wo die Küste mit ihren ins Meer ragenden Felsvorsprüngen malerisch und die Hotels frisch gestrichen waren – so frisch, dass in den Gängen zum Hotelzimmer die Farbe noch feucht war –, wo es aber kein fliessendes Wasser für die Dusche oder die Toilette gab. Dann machten sie noch einen Abstecher zur Mittelmeerstadt Jijel, fuhren dann die Küste entlang wieder nach Bejaïa zurück und von dort durch die zerklüftete Kabylei mit ihren Korkeichen, Zedern und Olivenbäumen sowie den Affenhorden, die das Taxi bei jedem Halt sogleich umrundeten, kauften sich als Wegzehrung die nahrhaften, zähen Charub-Schoten, liessen sich in Djamila, wo sie die einzigen Touristen waren, von einem zahnlosen Alten im wollenen Burnus die Ruinen erklären, klatschten im recht gut erhaltenen Amphitheater für ein imaginäres Publikum, begaben sich schliesslich ins Landesinnere nach Constantine, wo sie den Ausblick vom Monument des Morts und die beeindruckend schmale Hängebrücke Sidi M’Cid bewunderten, die die tiefe Schlucht überquerte, die mitten durch die Stadt verlief. Später dann waren sie endlich am Rande der Wüste angelangt, in der Oase Bou Saada, wo sie am Oued entlang bis zum Moulin Ferrero spaziert waren, während ihnen zu Elenas Entzücken allenthalben winzige Frösche über den steinigen Weg hüpften und braun gebrannte Kinder mit lachenden Gesichtern im grünlichen Wasser, das unterhalb eines kleinen Wasserfalls zu einem Becken gestaut wurde, fröhlich kreischend planschten oder von den ockergelben Felsen herab waghalsige Kopfsprünge machten. Elena drückte ihre Nase ans Autofenster und musste plötzlich lachen, als sie wieder an die kleinen Frösche dachte, die zwischen ihren Füssen auf den feuchten Steinen des Oueds herumgesprungen waren. Claude hatte für dergleichen keinen Sinn, er fand Elena in solchen Momenten geradezu lächerlich. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er, im Gegensatz zu ihr, langsam müde wurde von diesen ungewöhnlichen Flitterwochen. Elena wandte ihren Blick vom Fenster ab und sah plötzlich eine kleine Suppenkelle neben ihrer Schulter. Auch Claude blickte erstaunt auf die Kelle und da erklärte der eine Passagier, der auf dem hintersten Sitz sass:
«Goûtez s’il-vous-plaît! Ce miel est tout frais.»
Claude und Elena lachten etwas geniert und tauchten höflich den Finger in den zähflüssigen braunen Honig, obwohl sie das nicht so ganz hygienisch fanden. Der Honig schmeckte ihnen aber und während sie an ihren Fingern lutschten, fragte sie der Honigbesitzer, woher sie denn kämen und wohin sie gingen. Elena verkniff sich ihre Antwort im klassischen Arabisch und liess Claude auf Französisch mit ihm plaudern und so erfuhren sie, dass der Honigbesitzer am anderen Tag heiraten würde, in Biskra, und dass er deshalb seinen grossen Kessel Honig dabei habe, der sei für das Hochzeitsgebäck vorgesehen. Als Claude dann erklärte, sie und Elena hätten auch erst kürzlich geheiratet und sie seien im Grunde auf ihrer Hochzeitsreise, ihrer «Lune de Miel» wie es so schön hiess auf Französisch, mussten sie alle zusammen lachen. Daraufhin forderte sie der nette Honigbesitzer auf, doch an seiner Hochzeitsfeier in Biskra teilzunehmen, aber Claude winkte höflich ab, obwohl ihm Elena einen leichten Fusstritt gab. Der Honigbesitzer wirkte enttäuscht, das hörte Elena aus seiner Stimme heraus, und er insistierte auf seinem Angebot, aber Claude wollte nicht einlenken. Als sie dann schliesslich vor ihrem einfachen Hotel in Biskra ausstiegen, stieg der Honigbesitzer ebenfalls aus und kam ungefragt mit ihnen bis zur Rezeption. Dort sagte er dem Angestellten, noch bevor Elena oder Claude den Mund aufmachen konnte, dass er diesen beiden Touristen eigenhändig die Übernachtung bezahle. Elena und Claude waren völlig platt und bedankten sich herzlich. Der Honigbesitzer aber sagte auf Französisch, dass er sehr glücklich sei über seine am anderen Morgen bevorstehende Heirat und dass er ihnen wenigstens eine Freude machen wollte, da sie nicht an seinem Hochzeitsfest teilnehmen und seine Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen wollten.
Auszug aus «Ein arabischer Sommer», 2. Teil der interkulturellen Trilogie, 2018, S. 179 – 184
Copyright Anja Siouda 13.11.2023