Meine Mutter, die Hexe und ich
10 März 2025

Kreuz und quer durchs Bündnerland – mit ÖV!

Mini-Schweiz

Schon seit langem wollte ich endlich einmal nach Graubünden! Diese Region der Schweiz, dieser Kanton, der von den Umrissen her fast ein bisschen eine Mini-Schweiz darstellt, schien besonders viele Highlights bereit zu halten. Mein Mann und ich, nicht sehr weitgereiste Auslandschweizer aus Frankreich, haben sie sehr genossen, unsere kleine Wanderwoche kreuz und quer durch Graubünden*, dem ökologischen Fussabdruck zuliebe nur mit ÖV, angefangen mit dem Léman Express (und einer für zwei Personen gültigen SBB-Tageskarte) in der Nähe unseres Hauses in Frankreich.

Vom nasskalten Davos zu den Sonnenstrahlen im Nationalpark und zum Schellenursli-Dorf Guarda

Eine kleine charmante Ferienwohnung in der Nähe der Schatzalp-Talstation bei Davos war unsere «Basis» und von dort machten wir uns täglich auf die Suche nach der Sonne! Die sehr bequeme, oftmals in beschaulichem Tempo durch die kurvige Landschaft tuckernde Rhätische Bahn und manchmal auch das Postauto führten uns täglich aus dem in der letzten Maiwoche leider regnerisch-kalten Davos, zuerst in den Nationalpark, wo wir auf unserer Wanderung zur Alp Grimmels keinem einzigen Menschen, dafür herumtollenden und sich manchmal auf einem Wurzelstock perfekt in Pose setzenden Murmeltieren begegneten und am Tag darauf ins schmucke Schellenursli-Dorf Guarda. Die bedeckte Wetterlage an jenem Sonntag hatte auch ihr Gutes: Wir hatten das Dorf praktisch für uns allein, was das Fotografieren erleichterte und uns einen ganz ungestörten Besuch im kleinen Schellenursli-Museumscafé bescherte. Danach machten wir auch noch einen Abstecher nach Scuol und auf der Zugfahrt dorthin wurde uns bewusst, dass das stolze Schloss Tarasp keineswegs einfach so ein paar Meter daneben lag. Was auf der Karte wie ein Katzensprung ausgesehen hatte, war in Natura eine von der Inn geschaffene grosse Schlucht. Auch wäre das Schloss nur während einer der beiden im Voraus zu reservierenden Führungen am Nachmittag zu besichtigen gewesen und so begnügten wir uns damit, es aus der Ferne zu bewundern. Scuol, der Geburtsort der bekannten Bündner Autorin Romana Ganzoni, bot ein paar schöne Ausblicke auf das historische Dorfzentrum und die runden Bergkuppen gegenüber, die uns wegen ihrer Form und trotz ihrer Höhe eher an Hügel und damit fast ein bisschen an die Vulkane in der Auvergne erinnerten. Ansonsten aber lud uns die ziemlich leere Stadt an jenem Sonntag nicht zum Verweilen ein. Auch nach dem Thermal- und Erlebnisbad «Bogn Engiadina» stand uns der Sinn an jenem Tag gerade nicht. Die Clemgia-Schlucht war offenbar aus Sicherheitsgründen geschlossen und mit der 6,5-stündigen Rundwanderung, die man laut der Engadiner Tourismus-Webseite dort hätte machen können, wären wir «Boomer» an jenem Nachmittag sowieso überfordert gewesen.

Morteratsch-Gletscher, Bernina-Pass und Alp Grüm

Wir sparten unsere Kräfte für den nächsten Tag, fuhren also am Montag von Davos Platz her über den beeindruckenden Wiesener Viadukt, wo wir ab Wiesen eigentlich die Zügenschluchtwanderung gemacht hätten, aber auch diese war leider aus Sicherheitsgründen noch mindestens bis Juni geschlossen, wie mir das Tourismusbüro Davos-Klosters auf meine Anfrage hin per Mail bestätigte. So planten wir unsere Vergnügungsfahrt mit der knallroten Rhätischen Bahn bis nach Pontresina und zur Haltestelle Morteratsch.

Von dort machten wir die Rundwanderung Nummer 806, den Aussichtweg bis zum Fusse des Gletschers. Es war sehr eindrücklich und anschaulich, die Thementafeln mit den Jahreszahlen zu sehen, die in regelmässigen Abständen anzeigten, wie lange der Gletscher Jahrzehnte vorher gewesen war. Der flache, leicht abwärts führende Weg zurück zur Bahnstation dauerte 40 Minuten zu Fuss. Solange läuft man also durch die vom Gletscher geformte Gegend, die noch 1850 ganz mit Eis bedeckt war! Da wir in der Nähe der Alp Grüm waren, liessen wir uns mit der Rhätischen Bahn weitere 30 Minuten und damit über den Berninapass fahren, wo der noch halbgefrorene See, die Wolkenspiele und der letzte Schnee einen sehr interessanten Anblick boten und an die Bilder von Giovanni Segantini erinnerten.

Auf der Alp Grüm hatte gerade der Bernina-Express seinen obligaten Foto-Halt eingelegt, was die grosse Anzahl asiatischer Touristen erklärte, die sich dort tummelten, genau wie wir. Kaum waren sie wieder eingestiegen, machten wir ebenfalls unsere Fotos und Videos, die Aussicht war wirklich grandios!

Auf dem Rückweg auf diesem Teil der berühmten Strecke, die zum Unesco-Welterbe gehört, kamen wir wieder in den Genuss der Kehrtunnel zwischen Preda und Bergün. Was für eine Augenweide, diese Dörfer inmitten all dieser prächtigen Matten! Grün ist meine Lieblingsfarbe und ich fand diese satten Frühlingswiesen voller gelber Löwenzahnblüten wunderschön. Tatsächlich war der grüne Grundton unser ständiger Begleiter, auch dank der herrlichen Nadelbaumwälder, insbesondere im Unterengadin und zwischen Davos und Tiefencastel. Überhaupt freut es mich, dass ich all diese Namen von Ortschaften, die ich in meinem Leben schon öfters gehört habe, nun einer Stelle auf der Karte und meinen eigenen schönen Erinnerungen zuordnen kann.

Davosersee mit extrem niedrigen Wasserstand

Wenn ich jetzt hier in Frankreich meinem Umfeld gegenüber erwähne, dass wir in Davos waren, kommt natürlich allen Gesprächspartner:innen gleich das WEF in den Sinn, das dort alljährlich im Januar stattfindet. Mir selber wird allerdings eher der ziemlich mitgenommene Davosersee in Erinnerung bleiben, der mich an den mir seit meiner Kindheit bekannten Lungernsee erinnerte. Der saisonbedingte, extrem niedrige Wasserstand, der vom Wasserkraftwerk Klosters reguliert wird, liess den Bergsee recht trostlos und überhaupt nicht wie eine Postkartenidylle wirken. (Für die Sommersaison soll er dann aber wieder rechtzeitig randvoll aufgefüllt sein, lässt sich im Internet nachlesen).

Stets sehr aufgestellt, freundlich und hilfsbereit waren hingegen die Zugbegleiter:innen der Rhätischen Bahn und es war mir ein Vergnügen, dem Bündnerdialekt mit dem hübschen «Tanka» zu lauschen und aus dem Lautsprecher das fröhliche «Allegra» und weitere Sätze auf Rätoromanisch zu hören.

Die Rhätische Bahn ist ein Traum!

Die Züge der RhB waren zu dieser Jahreszeit und bei unserem gemütlichen Tagesrhythmus nicht stark besetzt, sodass wir immer viel Platz für uns allein zur Verfügung hatten und von einer Abteilseite auf die andere «hechten» konnten, um möglichst nichts von der wunderbaren Szenerie zu verpassen. Der Linienplan auf der Tischplatte zwischen den Sitzen war eine gute Orientierungshilfe und die praktischen, sauberen WCs im Zug waren auch nicht zu verachten. Meistens waren die Züge pünktlich und wenn sie es nicht waren, verpassten wir die Anschlüsse trotzdem nie, da die Züge auf die umsteigenden Fahrgäste warteten. Nur einmal stiegen wir in den falschen Zug bei Reichenau-Tamins, weil dort auf dem Perron ein Zug, der von St. Moritz her kam, mit 3 Minuten Verspätung abfuhr, worauf wir glaubten, es sei unser Zug von 15Uhr08, der nach Tiefencastel fuhr. Bei der Haltestelle Domat/Ems konnten wir zum Glück gleich wieder aussteigen und in Kürze nach Reichenau-Tamins zurückfahren, wo wir dann beim einstündigen Warten auf der spärlich besetzten Bahnhofcafé-Terrasse der Bedienung bei vier Tassen Kaffee unser Missgeschick erzählten, worauf diese lachend sagte: «Schlecht für Sie und gut für uns!»

Die wildromantische Rheinschluchtwanderung von Versam nach Valendas

Am Dienstag fuhren wir bis nach Versam, um von dort in einer kleinen Wanderung bis nach Valendas-Sagogn die wildromantische Rheinschlucht Ruinalta zu bestaunen. Sie war genau nach unserem Geschmack und erinnerte uns stark an die Ardèche-Schlucht in Frankreich. Auch hier übten sich Kajakfahrer auf dem milchig weissen Wasser und seltsame Felsformationen regten die Phantasie an. Gerne hätten wir eine längere Wanderung gemacht, aber der Weg von Ilanz her war offenbar streckenweise gesperrt. Vielleicht können wir diese Strecke eines Tages nachholen.

Die beeindruckende Viamala-Schlucht

Am Mittwoch fuhren wir mit Zug und Postauto bis zur eindrücklichen Viamala-Schlucht und wanderten nach der Besichtigung durch den Wald und über eine Hängebrücke bis ins nah gelegene Rania. Auf dieser kurzen Strecke begleiteten uns nur das Rauschen des Wassers und das manchmal exotisch klingende Pfeifen der Vögel. Es gab keine anderen Wanderer weit und breit.

Auf Thomas Mann’s Spuren auf der Schatzalp

Am Auffahrtsdonnerstag nahmen wir bei wechselhaftem Wetter den Weg zur Schatzalp unter die Füsse, in regelmässigen Abständen unterhalten von Zitaten aus dem «Zauberberg» von Thomas Mann und von originellen Dankestäfelchen auf Sitzbänken, die von begeisterten Touristen oder deren Nachkommen in Gedenken an ihre Eltern gespendet worden waren. Vom Panoramaweg gelangten wir im Wald zum Eichhörnchenweg und tatsächlich hüpften uns mehrere neugierige und beinahe zahme Eichhörnchen über den Weg. Beim Bergrestaurant Strela-Alp tranken wir einen Kaffee auf der schönen Terrasse mit der freundlichen Bedienung und warteten geduldig, bis der Wind die Schweizerfahne endlich perfekt fürs Foto in Szene setzte. Sogar die Sonne zeigte sich zwischendurch und beim Jakobshorn gegenüber waren im Kontrast der Wolken Gleitschirmflieger zu erkennen. Später wanderten wir gemütlich zum Jugenstil-Berghotel Schatzalp hinunter, das 1900 als Luxussanatorium eröffnet worden war und später Thomas Mann als Vorlage für seinen «Zauberberg» diente. Vertrauter war es mir allerdings als Drehort für die spannende sechsteilige Spionageserie «Davos 1917», die ich 2023 atemlos mitverfolgt hatte. Den Abschluss dieses letzten Ausflugs bildete die vierminütige Talfahrt mit der Schatzalp-Bahn und schöner Sicht auf Davos.

Rucksack voller Bündner Nusstorten

Am Freitag überraschte uns ein stahlblauer Himmel, der uns während unserer ganzen Rückreise (wieder mit einem SBB-Tageskarten-Sonderangebot für zwei) von Davos über Landquart, Zürich und Genf bis über die Grenze nach Frankreich begleitete. Zuhause packten wir die zahlreichen Bündner Nusstorten in allen Grössen aus, die wir für Freunde und Nachbarn gekauft hatten und freuten uns am ausgezeichneten Leitungswasser aus Davos, das in unseren Trinkflaschen übriggeblieben war.

Vor lauter Ausflugsplanung mit der SBB-App war mir leider entgangen, dass wir den «Graubünden Pass», ein 2- oder 5-Tage-Abonnement für den gesamten ÖV in Graubünden hätten lösen können, er wäre wirklich sehr praktisch und vorteilhaft gewesen.

Ein Grund mehr, bald wieder ins grandiose Bündnerland zu kommen, um von diesem einmaligen Angebot zu profitieren und noch weitere Highlights zu entdecken!

Copyright Text und Fotos: Anja Siouda 6. Juni 2025

*Nur das Oberengadin besuchten wir nicht, einerseits aus Zeitgründen und andrerseits weil wir vor etwa 36 Jahren als junges Studentenehepaar einmal im Sommer und einmal im Winter kurz in Sils gewesen waren, als meine beste Schulfreundin ein Hotelfachschule-Praktikum vor Ort absolvierte.

Be the first to write a review

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert