Highlight Gratwanderung Klingenstock-Fronalpstock 14. September 2019
Am Samstag vor dem Bettagssonntag machte ich zusammen mit meinem Mann eine wunderbare Gratwanderung vom Klingenstock bis zum Fronalpstock. Weil sie mir so unvergesslich blieb, stelle ich sie hier gerne im Detail vor, damit vielleicht andere Wanderfreudige auch zu diesem einmaligen Erlebnis kommen, wobei zu sagen ist, dass wir auch an jenem Samstag bei weitem nicht die einzigen waren, die sich auf diese offensichtlich populäre Gratwanderung gemacht hatten.
Für die Deutschschweizer sei übrigens am Rande erwähnt, dass in der Westschweiz der Bettag an einem Wochentag stattfindet, im Kanton Genf nämlich an einem Donnerstag und im Kanton Waadt an einem Montag. In Frankreich, wo wir mit unseren Kindern seit bald zwanzig Jahren beheimatet sind, gibt es diesen allerdings überhaupt nicht.
Als wir um viertel nach neun Uhr morgens beim Verkehrshaus in Luzern, meiner ursprünglichen Heimat, mit dem Voralpenexpress wegfuhren, waren wir zuerst ein bisschen enttäuscht, denn der Himmel war total bedeckt und auf den bevorstehenden Sonntag war strahlendes Wetter angesagt, aber wir dachten, am Bettag würde es wahrscheinlich sehr viele Leute auf dem Stoos oben haben und es würde zudem vielleicht auch recht heiss werden, darum hatten wir den Samstag ausgewählt. Beim praktischen und pünktlichen Umsteigen in den Bus am Bahnhof von Brunnen waren aber dann doch einige Personen mit Wanderausrüstung unterwegs und wir sagten uns, diese wüssten es sicher besser als wir Novizen. Der Nebel würde sich weiter oben bestimmt lichten! Nach etwa fünfzehn Minuten Busfahrt kamen wir gleich zur Talstation der Seilbahn von Morschach, ein kleiner Ort am Vierwaldstättersee, der mir als Auslandschweizerin, aber ehemaliger Luzernerin erstaunlicherweise auch erst seit Blanca Imbodens Bestseller «Wandern ist doof» ein Begriff ist, und von wo uns eine kleine Gondel auf den Stoos hinaufbringen sollte. Während wir sozusagen in Watte gepackt waren – es gab nur pures Weiss um uns herum –, forderten die Grosseltern in der Gondel ihre kleinen Enkel netterweise dazu auf, doch den Nebel wegzublasen … und das gelang ihnen tatsächlich, bis wir in wenigen Minuten oben ankamen.
An einem Gondelfenster klebte übrigens ein Informationsblatt, das den Touristen empfahl, bei schönem Wetter mit der neuen Standseilbahn von Schwyz her anzureisen, da diese viel mehr Kapazität zum Transportieren von Passagieren habe. Wir hatten sowieso vor, die Rückreise mit dieser Weltneuheit zu machen, von der wir im Internet bereits beeindruckende Videos gesehen hatten. Tatsächlich lasen wir später im anschaulichen und informativen Touristenprospekt, dass mit der Gondel 150 Personen pro Stunde transportiert werden können, während die brandneue Standseilbahn 1500 Personen pro Stunde schafft.
Auf dem autofreien Stoos gingen wir, obwohl wir jetzt zu unserer Freude bei stahlblauem Himmel und strahlendem Sonnenschein auf festem Boden gelandet waren, erst mal kurz auf die bei der Station vorhandenen Toiletten. Eine Information, die durchaus ihre Bedeutung hat, wie später zu erfahren ist. Danach sprach uns noch bei der Station eine nette ältere Dame an, ob wir Informationen brauchten und stattete uns gleich mit den praktischen Touristenplänen aus. Sehr freundlich erklärte sie uns Neulingen auch den Weg. Vor allem wies sie uns darauf hin, dass man die Gratwanderung gewöhnlich vom Klingenstock zum Fronalpstock mache, da man erstens die Sonne im Rücken und zweitens das Restaurant vor sich habe! Gut sagte sie uns das, denn sonst wären wir wohl in Versuchung gekommen, gleich in den ersten Sessellift rechter Hand einzusteigen, der nur wenige Meter von der Gondelstation entfernt war. Und die Wanderung hätten wir in der «falschen Richtung» gemacht, weil wir nicht nur der blendenden Sonne, sondern auch der grossen Mehrheit der Wanderer ständig hätten ausweichen müssen!
So liefen wir vorbei an satten grünen Wiesen zu den gepflegten Ferienhäusern hinauf, deren Läden aber in der Nebensaison mehrheitlich bereits geschlossen waren und fanden dank der guten Ausschilderung und etwa zwanzig Minuten spazieren problemlos den Sessellift, der zum Klingenstock hinauffuhr.
Schon auf dieser Höhe gab es einen umwerfenden Ausblick auf die zwei stolz aus dem Nebelmeer ragenden Mythen und das Panorama auf viele weitere Berge, die ich aber nicht zu nennen weiss, sowie auf die hübsche Bergkapelle vom Stoos. Witzigerweise verglich mein aus Nordafrika stammender Mann den Nebel mit Wolle, während ich darin Watte sah!
Nicht weit vom Sessellift entfernt gab es ein kleines Restaurant, neben dem eine Musikband offenbar gerade ihre Verstärker und Instrumente für ein Konzert aufbaute. Zum Glück spielten sie aber noch nicht, sie hätten damit nämlich nach meinem Geschmack die idyllische Atmosphäre verdorben.
Bei der Talstation des Sessellifts kauften wir die Tickets gleich für die Hinfahrt auf den Klingenstock und für die Rückfahrt vom Fronalpstock zum Stoos hinunter, da wir so etwas günstiger fuhren. 25 Franken pro Person mit Halbtax kosteten beide Fahrten, statt 34 Franken im Falle eines Einzelkaufs. Wir dachten sowieso in weiser Voraussicht, dass unsere bescheidene sportliche Kondition nicht dazu reichen würde, nach der etwa dreistündigen Gratwanderung auch noch vom Fronalpstock zum Stoos hinunterzuwandern.
Wir hatten einen Sessellift für uns zwei ganz allein, obwohl etwa sechs Personen drauf Platz gehabt hätten. Man muss wissen, dass wir absolut keine Wintersportler sind und dass solche Lifte noch ein richtiges Ereignis darstellen für uns, obwohl wir beide schon über fünfzig sind. Selber war ich schon seit einer Ewigkeit auf keinem mehr gewesen und mein Mann kannte diese erst recht nicht. Die sehr ruhige, nur vom Bimmeln der Kuhglocken begleitete Fahrt hinauf auf den Klingenstock dauerte etwa zehn Minuten und war wunderschön.
Der Blick auf die teils grasenden, teils aus dem Stande Alpentörtli produzierenden oder auch gemütlich im Gras liegenden wiederkäuenden Kühe inklusive Hörnern war sehr sympathisch und die Sicht auf die grüngewellte, seltsame Bodenstruktur und die fehlenden Bäume war faszinierend.
Oben auf dem Klingenstock angelangt erwartete uns bereits ein atemberaubendes Rundumpanorama!
Die auf Tafeln angebrachten offiziellen Empfehlungen für die Gratwanderung waren klar: Schwindelfreiheit, Trittsicherheit, Schuhe mit Profil, Sauberhalten der Umgebung! Die nächsten Toiletten waren, abgesehen von jenen beim Klingenstock, laut Wegweiser mindestens zweieinhalb Stunden weit entfernt. Wer ein Geschäft zu erledigen hatte, brachte es also am besten noch am Klingenstock hinter sich, denn es gab weit und breit keine Bäume oder Büsche. Diskretes Pinkeln wäre nicht mal für Männer möglich, geschweige denn ungesehenes Niederkauern mit nacktem Hintern für Frauen.
Die Wanderung begann sehr leicht, es ging etwas hinunter. Genauso hatte ich sie mir vorgestellt: Man wandert einfach geradeaus, immer auf dem Grat oben und macht keine Faxen, wenn es auf beiden Seiten steil hinabgeht! Während der ersten Hälfte ging es tatsächlich leicht voran, aber wir nahmen uns trotzdem regelmässig Zeit, uns hinzusetzen, auszuruhen und die umwerfende Sicht auf das unter uns langsam zurückweichende Nebelmeer und die Bergspitzen zu geniessen. Teilweise hatten sie noch Schnee bzw. wieder Schnee, wie mein Mann treffend bemerkte. Vor kurzem hatte es in den Bergen nämlich bereits geschneit, in Andermatt z.B. fünf Zentimeter, wie wir aus sicherer privater Quelle wussten.
Nach einer Weile hörte man plötzlich laute Musik vom Stoos herauf. Das waren nun die Musiker, die zu meinem Leidwesen offenbar mit dem Auf- und Einstellen ihrer Geräte fertiggeworden waren. Du meine Güte, hoffentlich würden wir nicht ständig diese akustische Begleitung haben! Das war ja schrecklich. Für mich mussten Stille, gelegentliches Gelächter oder Geplauder der Wandernden, bimmelnde Kuhglocken und Alpendohlenschreie das Panorama begleiten, keine hinaufdröhnende Rock- oder Discomusik! Meinem Mann hingegen gefiel die moderne Geräuschkulisse, sie regte ihn zum Marschieren an. Zum Glück für mich hörten sie nach kurzem wieder auf zu spielen und wir konnten uns auf unseren keuchenden Atem und unsere vor Schweiss tropfenden Köpfe konzentrieren, da es ein ziemlich steiles Stück hinunter und dann gleich wieder hinaufging. Pinkeln war kein Thema mehr, wir verdunsteten eh alles und waren froh um das Wasser, die Äpfel und die Blevita-Vollkornkekse, die wir als rettende Wegzehrung dabeihatten wie Frodo und Sam ihre von den Elfen geschenkten Lembas. Und statt Gollum waren uns zum Glück nur die anderen Wanderer jeden Alters, ganz kleine Kinder ausgenommen, auf den Fersen. Zudem hatten wir auch nicht den Blick auf den finsteren Mordor, sondern auf die sonnige Bergkulisse und (laut Prospekt) elf verschiedene grünblaue Innerschweizer Seen!
Hie und da gab es übrigens auch Holzbänke zum Ausruhen, jeweils mit dem Namen des grosszügigen Stifters versehen und glänzend poliert von all den Allerwertesten der kurzzeitig erschöpften Wanderer. An einer Stelle mähte jemand mit einem etwas lärmigen Motormäher auch die extrem steile Wiese und neben dem Weg lagen hie und da von Helikoptern hinauftransportierte Säcke mit Füllmaterial und Metallstangen für das Befestigen der Wege. Es wurde also auch regelmässig für das Wohl und die Sicherheit von uns Touristen gesorgt. Der Lärm des Motormähers störte mich übrigens im Gegensatz zur Musik aus dem Tal überhaupt nicht, erinnerte er mich doch an meinen Vater, der auf unserer Wochenend-Alp auf dem Brünig (der Schweizer Schauplatz meiner interkulturellen Trilogie) gleichermassen die steilen Hänge mähte und wo ich und meine Brüder danach das Heu zusammenrechen mussten. Wandern gingen wir übrigens nie mit unseren Eltern, ich habe überhaupt keine Erinnerung daran. Solche Aktivitäten waren in meiner Kindheit und Jugend nur in Blauringlagern oder auf Schulreisen aktuell.
Nach einem letzten Aufstieg, der sich ziemlich lange hinzog, und von wo der Rückblick auf den zurückgelegten Zickzack-Weg mich geradezu an die chinesische Mauer erinnerte, erreichten wir schliesslich den Fronalpstock mit der grossen Aussichtsplattform, dem Selbstbedienungsrestaurant, den WCs, den vorwitzigen Ziegen und der Sesselbahnstation. Nachdem wir das inzwischen völlig nebelfreie aber leicht dunstige Panorama auf den Vierwaldstättersee und einige andere Seen bewundert und die obligaten Fotos geschossen hatten, setzten wir uns, nachdem wir noch ein leckeres Stück Bergkäse als Wegzehrung gekauft hatten, gerne wieder auf den Sessellift und fuhren, nach kurzem Umsteigen in einen zweiten Sessellift weiter unten, zum Stoos hinunter. Dort erwarteten uns zu meiner Freude authentische Alphornklänge, eine Geräuschkulisse, die nun wieder perfekt passte, und das letzte Highlight vom Tag, die Fahrt mit der neuen Standseilbahn, die zwar sehr kurz aber auch sehr beeindruckend war, da man wirklich senkrecht hinunterfährt, aber dank dem Niveauausgleich sehr bequem und ohne sich Festzuhalten waagrecht in den beweglichen runden Abteilen steht. Laut Prospekt dauerte die Planung und Realisierung des Mammutprojekts vierzehn Jahre und elf Abstimmungen mussten gewonnen werden. Dafür ist die Bahn mit ihrer maximalen Steigung von 110 Prozent nun die steilste der Welt!
In der Talstation, wo wir die Rückkehr der Standseilbahn auch noch eine kurze Zeit von aussen bewundern und filmen konnten, bis sie wieder im Tunnel verschwand, kam nach kurzer Zeit ein Bus, der uns zum Bahnhof Schwyz brachte, von wo wir über Arth Goldau in der Südostbahn mit den todschicken roten Sesseln und den Platznummern in zusätzlicher Blindenschrift gegen 17 Uhr wieder die SBB-Haltestation Luzern-Verkehrshaus erreichten. Der Verkehrshausbesuch erübrigte sich natürlich, da wir ja an jenem Tag wirklich sehr viele originelle, aus dem Rahmen aber zum Glück nicht aus den Schienen oder dem Stahlseil fallende Verkehrsmittel mit Begeisterung benutzt und absolut hautnah erlebt hatten.
Copyright Anja Siouda, Text und Bild
1 Comment
hi Anja, beides isch es Highlight: diini wunderbar Beschriibig samt mega Bilder vo dere Wanderig, und sowiso d Wanderig sälber:-) es Grüessli us Luzärn